Durch die Änderungen des ESUG hat das schuldnerische Unternehmen nunmehr die Möglichkeit, bereits im Rahmen eines Schutzschirmverfahrens in Eigenverwaltung zu agieren. Dies war bislang erst im eröffneten Verfahren möglich. Der Vorteil für das Unternehmen besteht darin, dass kein Kontrollverlust eintritt. Die vollständige Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verbleibt beim Unternehmen. Die Interessen der Gläubiger werden dadurch geschützt, dass das Unternehmen unter die Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters gestellt wird. Dieser tritt während des vorläufigen Verfahrens in der Regel nicht nach außen gegenüber den Vertragspartnern auf. Die Aufgaben und Kompetenzen beschränken sich auf eine interne Kontrolle, z. B. Überwachung der Liquiditätsplanung, Überwachung der Bestellvorgänge etc. Das Gesetz weist dem Sachwalter folgende Kompetenzen zu, die auch auf den vorläufigen Sachwalter entsprechend übertragen werden können:
- Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, soll der Schuldner nur mit Zustimmung des Sachwalters eingehen (§ 275 Abs. 1 Satz 1 InsO).
- Verbindlichkeiten, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, soll der Schuldner nicht eingehen, wenn der Sachwalter widerspricht (§ 275 Abs. 1 Satz 2 InsO).
- Der Sachwalter hat das Recht zur Führung der Kasse; er kann verlangen, dass alle eingehenden Gelder nur von ihm entgegengenommen und Zahlungen auch nur von ihm vorgenommen werden (§ 275 Abs. 2 InsO).
- Für Rechtshandlungen von besonderer Bedeutung hat der Schuldner nach § 276 InsO die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen; ist im Antragsverfahren ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt, so findet diese Vorschrift auch schon vor der Verfahrenseröffnung Anwendung.
Sofern der Schuldner dies beantragt hat, ist dieser berechtigt, Masseverbindlichkeiten zu begründen. Diese Frage hat hohe praktische Relevanz. Ist das Unternehmen berechtigt, Masseverbindlichkeiten begründen zu können, können Lieferungen und Leistungen vor Eröffnung des Verfahrens auch nach dem Eröffnungszeitpunkt erfüllt werden. Ansonsten müssen diese Leistungen vor Eröffnung bezahlt werden.
Vollstreckungsmaßnahmen sind auf entsprechenden Antrag und Beschluss des Insolvenzgerichts einzustellen.
Soweit deren Voraussetzungen vorliegen, ist auch im Rahmen des Schutzschirmverfahrens eine Insolvenzgeldvorfinanzierung möglich. Erforderlich ist insofern, dass die Agentur für Arbeit gemäß § 188 Abs. 4 SGB III ihre Zustimmung zur kollektiven Abtretung der Insolvenzgeldansprüche erklärt. Diese wird erteilt, soweit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze erhalten bleibt. Zur Beurteilung dieser Voraussetzung orientiert sich die Agentur an
- den Zahlenwerten des § 112 a BetrVG
- sowie einer Prognose bzgl. der Erhaltung von Arbeitsplätzen, die im Rahmen des Schutzschirmverfahrens der eigenverwaltende Schuldner zu erstellen hat.
Stellt die Insolvenzgeldvorfinanzierung bereits einen Teil der Liquiditätsplanung des Schuldners dar, so ist das Vorliegen ihrer Voraussetzungen bereits in dem der Bescheinigung zugrunde liegenden Sanierungskonzept darzulegen. Zudem erscheint die Einholung einer vorläufigen Einschätzung der Agentur für Arbeit sinnvoll.
Würden allerdings durch die Insolvenzgeldvorfinanzierung Masseverbindlichkeiten ausgelöst, so bedeutete dies eine erhebliche Beeinträchtigung des Schutzschirmverfahrens. Mit Blick auf den Rechtsgedanken des § 55 Abs. 3 InsO wird allerdings überwiegend vertreten, dass Zahlungen von Insolvenzgeld immer Insolvenzforderungen sind. Dies gilt insbesondere auch, wenn ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt ist. Eine ähnliche Position kommt im Schutzschirmverfahren auch dem Schuldner zu, wodurch für diesen nichts anderes gelten kann.
Die Gewährung des Insolvenzgeldes hängt aber insgesamt vom Eintritt eines Insolvenzereignisses ab (vgl. § 270b. Abs. 4 InsO). Die Gewährung von Insolvenzgeld scheidet deshalb dann aus, wenn das Unternehmen saniert werden kann, ohne dass das Gericht die Eröffnung des Verfahrens anordnet oder den Antrag auf Eröffnung mangels Masse ablehnt.
Wird bei vorzeitiger Aufhebung des Schutzschirmverfahrens (vgl. unten) ein vorläufiger Verwalter bestellt, bestehen gegen die weitere Insolvenzgeldvorfinanzierung keine Bedenken. Voraussetzung ist allerdings, dass es sich um dasselbe Insolvenzereignis handelt. Der Schuldner hat innerhalb der gesetzten Frist den Insolvenzplan beim Insolvenzgericht einzureichen. Tut er dies nicht, so ist das Verfahren gescheitert.