Autor
Matthias Kühne
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht, Betriebswirt (IWW), Certified Valuation Analyst (EACVA), Wirtschaftsmediator (BStBK)
Matthias Kühne, 05.02.2018
Beschluss: Keine Haftung des Geschäftsführers in der Eigenverwaltung nach Paragraph § 69 AO
Das FG Münster (Beschluss vom 3.4.2017, Az: 7 V 492/17 U) hatte zu entscheiden, ob sich ein Geschäftsführer nach § 69 AO persönlich haftbar macht, wenn bei Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO Steuerrückstände nicht erfüllt werden.
Neben der vorläufigen Eigenverwaltung hatte das zuständige Insolvenzgericht angeordnet, dass Zahlungen aus dem Steuerschuldverhältnis i.S.v. § 37 AO sowie Zahlungen auf Beiträge der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung i.S.v. § 266a StGB nur mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters geleistet werden dürfen.
BGH stellt nunmehr klar: Passiva II sind bei der Zahlungsunfähigkeitsprüfung zu berücksichtigen
Diese Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit ist allein anhand objektiver Umstände vorzunehmen. In die zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit aufzustellende Liquiditätsbilanz sind auf der Aktivseite neben den verfügbaren Zahlungsmitteln (sog. Aktiva I) die innerhalb von 3 Wochen flüssig zu machenden Mittel (sog. Aktiva II) einzubeziehen und zu den am Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten (sog. Passiva I) sowie den innerhalb von 3 Wochen fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten (sog. Passiva II) in Beziehung zu setzen. Auch die innerhalb von 3 Wochen nach dem Stichtag fällig werdenden Verbindlichkeiten (Passiva II) sind bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen.
Voraussetzung der Zahlungsunfähigkeit
Von der Zahlungsfähigkeit ist auszugehen, wenn die fälligen Verbindlichkeiten am Stichtag erfüllt werden können. Sind die fälligen Verbindlichkeiten geringfügig nicht gedeckt, liegt somit keine Zahlungsunfähigkeit vor. Von einer Geringfügigkeit ist auszugehen, wenn die ungedeckten Verbindlichkeiten weniger als 10 % betragen. Eine zeitlich kurzfristige unschädliche Zahlungsstockung ist anzunehmen, wenn die Zahlungslücke nur 3 Wochen oder weniger besteht.
Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist (Leitsatz BGH, Urteil vom 24.5.2005).
Liquiditätsbilanz zum Stichtag
Um dies festzustellen, werden im Rahmen einer Liquiditätsbilanz die aktuell verfügbaren und kurzfristig verfügbar werdenden Mittel in Beziehung gesetzt zu den an demselben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten.
In Rechtsprechung und Literatur war bislang streitig, ob bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit auch die im 3-Wochen-Zeitraum fällig werdenden Verbindlichkeiten (sog. Passiva II) zu berücksichtigen sind.
Z. B. hatte das OLG Hamburg in seinem Urteil vom 29.4.2009 die Meinung vertreten, dass diese nicht zu berücksichtigen sind. Diese Auffassung wurde unter dem Begriff Bugwelltheorie geführt. Das Unternehmen konnte nach dieser Auffassung gleichsam eine Bugwelle fälliger Verbindlichkeiten im 3-Wochen-Zeitzraum vor sich herschieben, die bei der Zahlungsunfähigkeitsprüfung ausgeblendet wurden.
Ende der Bugwellentheorie
Der BGH folgt der Auffassung des OLG Hamburg nicht. Vielmehr sind nach der aktuellen Entscheidung die innerhalb von 3 Wochen nach dem Stichtag fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten des Schuldners bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO in Abgrenzung von der bloßen Zahlungsstockung zu berücksichtigen.
Fazit
Der BGH hat eine der letzten offenen Fragen geklärt. Damit ist ein zumindest in der (strafrechtlichen) Verteidigung wichtiges Argument verloren gegangen. Das Korsett schnürt sich enger und erhöht die Anforderungen an Geschäftsführer, Vorstände und Berater in der Krise.
Tipp der Kanzlei
Spätestens bei ersten Krisenanzeichen sollte ein Unternehmen eine integrierte Unternehmensplanung einrichten. Damit lassen sich mögliche Liquiditätslücken rechtzeitig erkennen und Gegenmaßnahmen einleiten. Ansonsten verliert der Geschäftsführer bzw. Vorstand aufgrund der Rechtsprechung des BGH jeglichen Handlungsspielraum und begibt sich in die Gefahr der zivil- und strafrechtlichen Haftung wegen Insolvenzverfahrensverschleppung.